Mitgründer in der eigenen WG gefunden
Angefangen hat alles in einer Hamburger Wohngemeinschaft, in der Jannik Semmelhaack und Tobias Wandersleb zusammenwohnen. Damals arbeitete Jannik im Rahmen seines dualen Studiums bei Philips im Bereich E-Commerce und steigerte dort mit lediglich einer Handvoll Experten den Umsatz von 10 auf 40 Millionen Euro in 24 Monaten. In dieser Zeit hatte er dort aber auch mit vielen Kundenproblemen zu tun und dabei einiges gelernt, wovon er heute profitiert. Im Unternehmen fehlten ihm beispielsweise intelligente, KI-getriebene Prozesse und eine bessere Abstimmung zwischen den Abteilungen. Jannik vermisste hier eine unabhängige Instanz und erkannte einen Bedarf: Für ihn war es gut zu sehen, dass auch die „Großen" diese Probleme haben.
Tobias absolvierte zu jener Zeit ebenfalls ein duales Studium, allerdings bei Hauni in Bergedorf, und implementierte dort bereits mit 20 Jahren sein erstes Prognosesystem. Damit hatte er die technische Basis geschaffen, um ein Produkt zu bauen, mit dem das Startup VOIDS nicht nur Unternehmen wie Hauni, sondern auch Mittelständlern helfen kann.
Geschäftsidee
Aus den beiden Mitbewohnern wurden Freunde und schließlich beschlossen Jannik und Tobias im Frühjahr 2020, ihre Jobs an den Nagel zu hängen und ein Unternehmen zu gründen, das genau diese Lösungen anbietet: Ihr Startup will mittelständischen E-Commerce-Unternehmen helfen, Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage, z.B. durch Nichtverfügbarkeit, zu beheben. Die Gründer erreichen dies durch eine automatisierte Demand-Management-Lösung, die mit Hilfe von KI-Technologien den Umsatz um 10 Prozent und den Gewinn um 20 Prozent steigert.
„Unser USP (Unique Selling Point) sind unsere Demand-Shaping-Lösungen. Daher ist der Name unseres Startups VOIDS, es ist die Abkürzung von Vision of intelligent Demand Shaping. Damit können wir als einziges Unternehmen am Markt unseren Kunden helfen, ihre Zukunftsziele (z.B. Umsatzwachstum oder Profitabilität) proaktiv selbst zu gestalten“, berichtet Jannik: „Darüber hinaus haben wir uns auf eine große Nische spezialisiert: E-Commerce-Unternehmen mit einem Umsatz von eins bis 25 Millionen Euro. Hier gibt es eine echte Marktlücke im SaaS-Bereich (Saas ist die Kurzform von Software as a Service, ein cloudbasiertes Softwarebereitstellungsmodell), da unsere Software skalierbar ist und in unter 24h implementiert werden kann“, erklärt Jannik.
Eine echte Erfolgsgeschichte für die Stadt Hamburg, denn die beiden Unternehmer haben erst im vergangenen Jahr gegründet: Gemeinsam mit ihrem beyourpilot-Gründungsberater haben sie ab Februar 2022 den EXIST-Antrag verfasst. Unterstützt hat zudem ihr Mentor und Projektbegleiter von der Uni Hamburg: Prof. Dr. Michel Clemen. Die Förderzusage in Höhe von 150.000 Euro gab es dann zum August 2022. Kurz darauf wurden sie auch in das weltweit zweitgrößte Accelerator-Programm Techstars (techstars.com) aufgenommen.
Gründungsunterstützung
„beyourpilot ist die erste Anlaufstelle für Gründerinnen und Gründer aus der Wissenschaft, die Hilfe bei den ersten Schritten benötigen, so wie wir im Jahr 2021. Warum? Weil das Team nicht nur zahlreiche Startups erfolgreich bei der Bewerbung für eines der renommiertesten Förderprogramme Deutschlands (EXIST Gründungsstipendium) unterstützt, sondern auch enorm viel Expertise und Zeit mitbringt“, erklärt Jannik.
„Am Anfang waren wir überhaupt nicht in der Hamburger Gründungsszene vernetzt und wussten auch nicht, welche Fördermöglichkeiten es gibt. Bei beidem war beyourpilot neben dem EXIST-Antrag eine große Hilfe“, ergänzt Tobias.
Konkurrenz
„Unser größter Konkurrent ist der Kunde selbst und seine internen Prozesse“, berichtet Jannik: „Wir stellen fest, dass viele E-Commerce-Händler keine Planung haben oder auf Basis von Excel planen. Das heißt, wir müssen sie in 70 bis 80 Prozent der Fälle nicht davon überzeugen, dass andere Anbieter besser sind als wir.“ Die Herausforderung für VOIDS sei es, die Kunden dazu zu bringen, nicht nur mit dem Startup zu planen, sondern auch das Demand Shaping als Priorität zu sehen.
Der E-Commerce befindet sich im Wandel: „Nach dem Höhepunkt in der Corona-Phase ist die Konkurrenz gewachsen. Händler müssen daher an ihrem Profil arbeiten. Andererseits können sie wegen der aktuellen Zinsen nicht mehr so viel Ware bestellen und lagern. Das tut weh. Die Marktveränderung spielt uns also in die Hände, weil wir dort ansetzen“, erklärt Jannik.
Künstliche Intelligenz
„VOIDS verwendet ein Transformer-Modell aus dem Bereich des Neuro-Linguistischen Programmierens (NLP). Wir sind also nicht weit von ChatGPT entfernt. Aber wir können aus einer Zeitreihe der Vergangenheit eine Zeitreihe der Zukunft bestimmen. Saisonale Einflüsse, meteorologische Einflüsse, unser Transformer-Modell kann sogar mit Plandaten umgehen. Das ist gut für unsere Kunden, weil wir ihre Gegebenheiten in die Analyse einbeziehen. Es ist ein Deep-Learning-Modell für präzise Prognosen“, sagt Jannik. Das Startup bietet nicht nur Datenverarbeitung und Visualisierung, sondern auch Data Science. Das haben viele Softwarelösungen nicht. Deshalb kann sich das Unternehmen als KI-Lösung positionieren.
Mitarbeitende
Am wichtigsten sind den Gründern Motivation und Talent, wenn es um die Eigenschaften ihrer neuen Mitarbeitenden geht: „Die großen Fische wie Amazon etc. arbeiten schon seit Jahren mit Data Science. Der Mittelstand kann das nicht, beziehungsweise hat nicht die Ressourcen. Unsere Mitarbeitenden verstehen diese Vision und erkennen diese Chance. Das motiviert sie. Wir benötigen echte Expertise, die ist nicht billig. VOIDS leistet jedoch einen wichtigen Beitrag für den gesamten E-Commerce sowie die Gesellschaft – das sollte entsprechend motivieren“, so Jannik. Das Startup hat derzeit sechs Mitarbeitende, von denen drei nebenberuflich studieren. Dank der Innorampup-Förderung stellen die Gründer künftig weitere Fachkräfte im Bereich Software Entwicklung und Sales und Marketing ein.
Fails
Jannik und Tobias arbeiten seit rund zwei Jahren zusammen: „Bevor man sich als Team zusammenschließt, sollte man eine längere Verlobungsphase durchlaufen. Das kann ich nur empfehlen“, berichtet Jannik: „Bei unserem ersten gemeinsamen Pilotprojekt haben Tobi und ich ein halbes Jahr zusammengearbeitet. Da sind wir wirklich durch dick und dünn gegangen: Das war unsere Grenzerfahrung.“
Vor allem am Anfang haben die beiden viel gelacht, was Jannik Gründern wärmstens empfiehlt: „Das ist der Nervenkitzel. Man muss sich immer fragen, was man daraus lernen kann. Erst mal nicht aufhören und über den Schmerzpunkt hinaus spielen und trotzdem Spaß haben“. Vieles habe damals nicht auf Anhieb geklappt, weil zum Beispiel die Datenbasis sehr bescheiden war: „Erst wollten die Stakeholder keine Daten teilen, dann mussten wir uns darum bemühen und dann die Daten bereinigen, denn die erste Prognose sah einfach katastrophal aus. Die Zahlen ergaben keinen Sinn. Man weiß nicht, warum das so ist. Man hat eine Deadline vom Kunden. Wenn wir das dem Kunden schicken, sagt er, wir sind Anfänger. Grenzerfahrung. Also hat sich Tobi mit unserem Entwicklerteam, das es damals noch gar nicht gab, damals noch ein Mix aus Freelancern, sieben Tage eingeschlossen. Fünfmal hat er diesen Forecast auf den Kopf gestellt, bis wir ein vorzeigbares Ergebnis hatten. Außerdem standen wir unter Zeitdruck, weil das Ganze auch noch im Rahmen unserer Diplomarbeit lief: Wir wollten ja nicht nur einen guten Master-Abschluss machen, sondern auch eine Geschäftsidee beweisen“. Erfahrung hatten die beiden damals kaum. Da sei eine gute Kommunikation mit dem Mitgründer nötig gewesen, um sich gegenseitig den Druck zu nehmen. Das habe sehr geholfen.
Teamkommunikation
Am Anfang läuft alles super: Weil man nur zu zweit ist, ist die Abstimmung noch recht unkompliziert: „Aber je mehr es werden, desto größer wird die Herausforderung. Mehr Themen etc. In dieser Phase haben wir gemerkt, dass wir Probleme haben. Kommunikation war das Thema Nummer eins, an dem wir arbeiten mussten. Wir haben alle zwei Wochen eine Retrospektive, wo wir uns Feedback geben. Was muss verbessert werden. Das ist manchmal unangenehm, aber am Ende wird man besser“, erklärt Jannik.
„Ich empfehle allen Gründenden, Misserfolge nicht in sich hineinzufressen, sondern mit anderen darüber zu sprechen. Man sollte sich aber auch überlegen, wen man zu welchen Themen um Rat fragt“, so Jannik.
Work-Life-Balance
Die beiden Gründer haben das Projekt als Freunde begonnen. Sie sind also Geschäftspartner und Freunde zugleich: "Das ist nicht immer leicht zu trennen. Man kennt sich privat und muss unabhängig davon seine Meinung sagen und Dinge beurteilen: „Daran mussten wir arbeiten. Wenn ich länger als 2 Tage keinen Spaß habe, frage ich mich aktiv, woran das liegt. Das hilft beim Einschlafen. Wenn du aufhörst zu arbeiten - was du kaum tust - dann arbeite wirklich nicht. Denn wenn du ständig daran denkst, gerätst du in eine Spirale. Nach 10 oder 11 Stunden Arbeit arbeitest du noch mindestens 2 Stunden weiter. Das ist schwer auszuhalten.“ Jannik hat sich deshalb einen Ausgleich gesucht, zum Beispiel Sport, den er 5 bis 6 Mal in der Woche treibt. Tobi auch. Auch für ihn ist es wichtig, Arbeit und Freizeit zu trennen:
„Wir kommunizieren beruflich wenig über WhatsApp, sondern nur über Slack. Themen werden nach Feierabend geparkt. Ab 23 Uhr geht das Handy in den Flugmodus - das kann ich jedem empfehlen. Manche machen das sogar schon ab 20 Uhr. Dann kann man besser abschalten.“ Jannik liest dann gerne etwas, das nichts mit seiner Arbeit zu tun hat. Nach dem morgendlichen Weckerklingeln geht er erst 45 Minuten später ans Handy. „Früher habe ich das direkt nach dem Aufwachen gemacht - wenn dann etwas Negatives kam, fing der Tag direkt schlecht an. Das wollte ich vermeiden.“
Zukunftsausblick
In Zukunft wollen sie sich bei VOIDS auf zwei Themen konzentrieren: Zum einen auf die Sicherung einer Anschlussfinanzierung, die im Rahmen der EXIST-Förderung explizit gewünscht und unterstützt wird, und zum anderen auf die Erweiterung des Teams, um die nächsten Meilensteine in der Produktentwicklung zu erreichen.
Rund 3.000 KMU-Kunden will VOIDS in den nächsten Jahren betreuen, so Jannik: „Dann haben wir einen richtigen Fußabdruck! Wir arbeiten dann mit verschiedenen KMU zusammen, die viele Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen, dass sie wettbewerbsfähig bleiben. Auch wir Konsumenten profitieren von dieser Vielfalt. Von Unternehmen, die wissen, was die Kunden wollen. Das ist das langfristige Ziel. Es geht darum, zu einer E-Commerce-Landschaft beizutragen, in der E-Commerce D2C Gründer ihre Marken profitabel skalieren können, während Kunden weltweit von einer größeren Produktvielfalt und einem besseren Einkaufserlebnis profitieren.“
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den die Gründer gemeinsam Schritt für Schritt gehen wollen. Rückblickend haben sie in kurzer Zeit schon viel erreicht: „Das macht Mut für die Zukunft. Jeden Tag ein Prozent mehr. Das ist Erfolg. So muss man denken und dann kann man auch besser schlafen - wenn man nicht von zu ehrgeizigen Plänen erdrückt wird. Meiner Meinung nach lohnt es sich, die Ziele niedriger anzusetzen und dann mehr zu erreichen. Das funktioniert nicht immer, aber es motiviert. Nächstes Jahr wollen wir mindestens 70 bis 100 Kunden live auf der Shopify-Plattform haben. Dann kommen andere Kanäle wie Amazon oder WooCommerce dazu. Dann machen wir richtig Meter“, meint Jannik zuversichtlich.