Ist das Rembrandtgemälde Original oder Fälschung? Wie reagieren in einer Gewebeprobe die Wirkstoffe mit den Körperzellen? Wie verhalten sich Supraleiter und andere elektronische Komponenten unter verschiedenen Bedingungen? Bei diesen kniffligen Fragen kann ein Synchrotron helfen: das ist eine riesige Teilchenbeschleunigeranlage, die hochenergetische Röntgenstrahlung produziert. Diese wird an mehrere Experimentierstationen, sogenannte Beamlines, geleitet, um dort Materialproben zu belichten. Auf diese Weise können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschung und Industrie vielerlei Strukturen und Vorgänge auf molekularer Ebene untersuchen. Mit den Messungen lassen sich Computerchips optimieren, Strukturen von Viren erkennen und neue Medikamente gezielt entwickeln.
Der Haken an der Sache: Synchrotronstrahklungsquellen stellen ihren enorm hellen, gepulsten Röntgenstrahl immer in einer für gewisse Zeit definierten Stärke und Pulsfrequenz bereit, die oft nicht für jedes der mitunter 30 oder gar 40 angeschlossenen Experimente passt. Deshalb müssen die Forscherinnen und Forscher an den Stationen entweder mit Filtern und Schaltern arbeiten, um den Strahl zu modulieren. Oder sie müssen eine bestimmte Strahlzeit der Großanlage abwarten, die ihren Bedürfnissen entspricht. Ihr Projekt kann sich so um Wochen oder gar Monate verzögern. Viel besser ist es also, den Strahl anzupassen. „Für die Energie und Größe des Strahls gibt es bereits gute Lösungen“, berichtet uns Dr. Peter Gaal , einer der beiden Gründer von TXproducts. „Nicht aber für die Zeitstruktur.“
Die Geschäftsidee: WaveGate ist schneller als der Röntgenblitz
Genau da tritt TXproducts mit WaveGate auf den Plan, dieser kleine Kasten lässt sich in einer Beamline leicht zwischenschalten und ermöglicht es, die Zeitstruktur des Röntgenstrahls auf das jeweilige Experiment abzustimmen. Das wichtigste Element von WaveGate sind dabei die Lithiumniobat-Kristalle. Das sind piezoelektrische Kristalle, die als Signalfilter in jedem modernen Handy stecken, aber auch etwa in Sensoren zum Beispiel zur Erkennung von Viren. Solche Kristalle erzeugen eine elektrische Spannung, wenn sie sich verformen, und können umgekehrt gezielt verformt werden, indem man eine elektrische Spannung an sie anlegt.
Wenn nun der Röntgenstrahl mit einer Frequenz von zum Beispiel einem Puls alle 200 Nanosekunden auf die Oberfläche des Kristalls trifft, so kann der Schalter ein hochfrequentes elektrisches Signal aussenden, das der Kristall mit winzigen antennenförmigen Strukturen, die TXproducts auf seine Oberfläche aufgebracht hat, empfängt und in Oberflächenschallwellen umwandelt. Die gleiche Art Schallwellen entsteht auch bei Erdbeben. Der Schalter löst am Kristall also eine Art Erdbeben aus, das die Gitterstruktur des Kristalls verändert. Mit dieser veränderten Oberflächenstruktur wird der Röntgenstrahl nun in einem anderen Winkel reflektiert. „Wir können mit WaveGate also die Beugung des Röntgenstrahls kontrollieren und so bestimmte Pulse des Strahls auswählen und die anderen aussortieren“, erklärt der zweite TXproducts-Gründer Daniel Schmidt. „Beispielsweise wenn ich den Puls nicht alle 200 Nanosekunden, sondern nur einen pro Millisekunde brauche.“ Um vor Augen zu führen, wie schnell der Schalter arbeitet, ein Vergleich: Licht legt in einer Sekunde eine Strecke zurück, die sieben Mal um den Äquator reicht. WaveGate kann den Röntgenstrahl so schnell an- und wieder ausschalten, dass das Licht in dieser Zeit nur 30 Meter zurücklegt.
WaveGate ist variabel wie ein Schweizer Taschenmesser
Eine derart ultrapräzise Selektion kann für die hochkomplexen Experimente an Synchrotronen extrem wichtig sein. Denn für viele Proben ist zu viel Strahlung schädlich, sie halten nur wenige Pulse aus und zerfallen sonst. „Manche Prozesse, die ich beobachten will, dauern auch nur so lang wie ein einzelner Puls“, sagt Schmidt. „Dafür muss ich also einen einzelnen isolieren und kann überhaupt keine weiteren gebrauchen.“ Mit WaveGate kann man also an der Beamline sowohl die Menge des einfallenden Röntgenlichts als auch die Frequenz seiner Pulse dosieren. Und zwar variabel wie ein Schweizer Taschenmesser: Der Schalter lässt verschiedene Einstellungen zu und kann für unterschiedliche Experimente genutzt werden. Vor allem darin unterscheidet er sich von bisherigen Lösungen. Herkömmliche Optiken zur Anpassung der Zeitstruktur sind in der Regel starr und daher nur für eine Sorte Experiment verwendbar. Im Übrigen sind sie noch deutlich teurer als WaveGate.
Schnellere und kostengünstigere Synchrotron-Experimente dank WaveGate
Mit WaveGate können viele Synchrotron-Experimente erheblich schneller und kostengünstiger durchgeführt werden. „Arbeiten, die bisher eine Stunde dauerten und 1000 Euro kosteten, sind nun womöglich in einer halben Minute für 10 Euro erledigt“, sagt Peter Gaal. Das komme nicht nur den Forschenden selbst zugute, sondern auch den Betreibern des Synchrotrons, da sie ihre Beamlines besser auslasten können. Gaal schätzt, dass etwa 30 Prozent der Experimente an Synchrotronen davon profitieren. Manche werden dadurch sogar überhaupt erst möglich.
Die Idee für WaveGate hatte Peter Gaal schon länger. Er ist Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ) in Berlin und leitet dort die Arbeitsgruppe Röntgenoptik. IKZ und DESY ergänzen sich im Prinzip ideal: Am IKZ werden Kristalle entwickelt, wie man sie für die Forschung an einem Synchrotron, wie es das DESY mit PETRA III betreibt, braucht. Umgekehrt liefert die Forschung bei DESY Antworten auf die Frage, wie sich die Kristallzucht verbessern lässt. Deswegen hat das IKZ kürzlich auf dem DESY-Campus auch ein JointLab mit dem Hamburger Forschungszentrum gegründet, um die Kooperation zu intensivieren. Ein Gerät wie WaveGate kann auf die Zusammenarbeit also wirken wie ein Schmiermittel.
Partnersuche für den gemeinsamen Fortschritt
„Allerdings blieb mir zunächst neben Lehre und Forschung zu wenig Zeit, um die Idee weiterzuverfolgen“, erinnert sich Gaal. „Ich brauchte einen Partner.“ Diesen fand er in Daniel Schmidt. Er war Student in Gaals Arbeitsgruppe, die dieser als Vertretungsprofessor an der Universität Hamburg leitete. „Daniel brachte alles mit, was wir für unser Projekt brauchten: Er ist Spezialist für Nanoforschung und zeitlich hochaufgelöste Röntgen- und Lasertechnologie – vor allem aber hat er den nötigen Schwung und Ehrgeiz, um so etwas richtig voranzubringen.“
Synergieeffekte mit dem DESY Start-up Office und beyourpilot
Durch die Ansiedlung im Innovation Village des DESY profitieren die beiden von vielerlei Synergieeffekten: Zum einen gibt es an der Röntgenstrahlungsquelle PETRA III des DESY Beamlineforscherinnen und -forscher, die geradezu darauf warten, dass WaveGate fertig wird, um es einzusetzen. „Sie werden unsere ersten Kunden sein, begleiten unsere Entwicklung und ermöglichen uns, das Gerät zu testen, ohne dass wir dafür jedes Mal Strahlzeit beantragen müssen“, erklärt Daniel Schmidt. Hinsichtlich ihrer Gründung werden die beiden Wissenschaftler vom DESY Start-up Office sowie beyourpilot begleitet: Die Gründungsberaterin Dr. Christina Frehse steht ihnen hierbei in diversen Fragen zur Seite. „Eigentlich hat uns das Office überhaupt erst darauf gebracht, unser Startup zu gründen“, stellt Gaal fest. Hinzu komme, dass sie sich auf dem Campus mit anderen Gründerinnen und Gründern austauschen und passende neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden können
Weltweit über 50 Synchotrone könnten von WaveGate profitieren
Der Bedarf für WaveGate ist offensichtlich: Weltweit gibt es mehr als 50 Synchrotrone, an die jeweils mehrere Beamlines angeschlossen sind. Der Gewinn an Flexibilität und Effizienz für ihre Arbeit dürfte viele Betreiberinnen und Bertreiber sowie Beamlineforschende überzeugen. Wenn der Demonstrator fertig ist, wollen seine beiden Entwickler Synchrotrone weltweit besuchen, um ihre neue Technologie vorzustellen. Erste Verkäufe sind für 2023 geplant.
Doch damit nicht genug. Längst tüfteln Gaal und Schmidt an weiteren Schaltgeräten. Als nächstes soll „PicoSwitch“ auf die enorme Geschwindigkeit von WaveGate noch eins draufsetzen. In der Analogie mit dem Lichtstrahl, der in einer Sekunde sieben Mal um die Erde rast, schaltet PicoSwitch das Licht binnen einer Stecknadelbreite an und aus. Das sind fünf bis zehn Pikosekunden (Billionstel Sekunden). Damit werden Forscherinnen und Forscher sogar Vorgänge untersuchen können, die schneller ablaufen als einer der Röntgenpulse selbst lang ist – etwa wie sich die Moleküle in der Netzhaut eines Auges verformen, wenn Licht auf sie fällt. Auch dafür gibt es in der modernen Forschung mit Röntgen- und Laserstrahlung einen großen Bedarf. Das weitere Produkt, das TXproducts plant, soll „NanoGate“ heißen. Es wird ähnlich wie WaveGate funktionieren, aber bei anderen Lichtspektren einsetzbar sein.
Der sechsstellige Preis der kleinen Geräte ist relativ zu betrachten. Zumal am Ende trotz ihres modularen Aufbaus jedes ein Unikat sein wird: „Wir passen jede Schaltoptik individuell an die Wünsche des Kunden an“, sagt Daniel Schmidt. „Manche brauchen zum Beispiel eines das im Vakuum funktioniert – andere nicht.“ In der modernen Hightech-Forschung an Synchrotronen, deren Bau Milliarden und deren Betrieb zig Millionen pro Jahr kostet, ist ein solcher Betrag zu verschmerzen – zumal er mit jedem folgenden Experiment wieder Geld einspart.