Philipp Arbter hat sein Abitur 2008 in Krefeld (Nordrhein-Westfalen) gemacht, anschließend den fälligen Zivildienst absolviert und ist dann nach Berlin, wo er erstmal ein Semester Biologie studierte: „Das war aber nicht so meins, denn da fehlte mir die technische Komponente“, erzählt er. Also wechselte er zur Biotechnologie. Für den Bachelor ging es an die Berliner Hochschule für Technik. Im Zuge seiner Bachelor-Arbeit, welche er dann an der University of Louisiana at Lafayette (USA) absolvierte, hat Philipp Arbter erstmals mit der Lipidherstellung durch Hefen zu tun gehabt. Das Thema faszinierte und begleitete ihn weiter: An der TU München machte er deshalb seinen Abschluss in Bioverfahrenstechnik. Schließlich zog Philipp nach Hamburg zum Institut für Bioprozess- und Biosystemtechnik der Technischen Universität Hamburg (TUHH): „In meiner inzwischen verteidigten Doktorarbeit habe ich mich damit beschäftigt, wie man biotechnologische Verfahren, in denen Zellen oder Enzyme genutzt werden, die spezielle chemische Verbindungen produzieren, mit elektrochemischen Verfahren koppeln kann. Die Idee ist: Viele dieser Prozesse haben das Potenzial hierdurch effektiver und nachhaltiger zu werden. Hier habe ich unter anderem auch den Einfluss von Elektrizität auf die Ölproduktion durch Hefen untersucht.“
Technologischer Ansatz ohnegleichen
Nach seiner Doktorarbeit wunderte Philipp sich, dass sich der Ansatz Öle durch Hefen zu produzieren bisher nicht in Industrie und Wirtschaft durchgesetzt hat: „Weil es vermutlich schwer zu skalieren war, das Öl biotechnologisch in großen Mengen herzustellen und hierfür hohe Summen an Kapital für Produktionsanlagen benötigt werden. Aber wenn es funktioniert, ist es sehr vielversprechend: Dann müssen wir eben viele Probleme lösen“, dachte sich Philipp und hängte sich mit seinem Team in das Thema rein. Die ersten Erfolge kamen und Philipp war überrascht, dass die Mehrheit der potentiellen Kunden ihren technologischen Ansatz nicht kannte, obwohl dieser eine gewisse Relevanz bzw. Tragweite hat: „Europa importiert jedes Jahr bis zu sieben Millionen Tonnen Palmöl. Es wird hier beispielsweise als Brennstoff verwendet und ist in jedem zweiten Produkt des Supermarktes enthalten. Den Kosmetikkonzernen war nicht bekannt, dass man mit Hilfe von Hefen Öle herstellen kann, die denen von Fettsäuren oder pflanzlichen Ölen sehr ähneln. Ich dachte, die hätten ihre Hausarbeiten gemacht, die Möglichkeiten schon in alle Richtungen ausprobiert und ich als frischer Doktorand könnte denen da nichts Neues erzählen“, zeigt er sich überrascht.
Zeit zum Gründen
Der Moment hat ihn inspiriert und das Timing für eine Gründung schien richtig, denn er hatte genug Zeit und auch „Bock auf das Thema“: „Das sind die besten Voraussetzungen für so ein Vorhaben: Wäre ich bereits zehn Jahre in einem Unternehmen tätig, dann wäre ich vermutlich diesbezüglich weniger ambitioniert gewesen. Aber ich bin noch jung und somit im richtigen Alter für sowas“, so Philipp: „Ich hatte die Idee, sah die Technik und wollte das mal umsetzen: dazu gibt es ja in Deutschland eine gute Förderlandschaft.“
Philipp ist überzeugt, dass da draußen sicher noch viele ähnliche Potenziale schlummern, die es zu ermitteln gilt. Gründungsinteressierten rät er heute: „Als Doktorand nach der Promotion gibt es viele Möglichkeiten. Das hängt natürlich auch immer etwas von der eigenen Situation ab. Eine Option ist es, mit eurer Idee an Unternehmen heranzutreten und zu evaluieren, ob diese dort funktionieren könnten. Versuch macht klug.“
Die Idee: Eine CO2-neutrale Alternative durch Fermentation
Bei dem entdeckten Verfahren wird das nachhaltige Öl durch Fermentation hergestellt. Dafür werden Hefen genutzt, die Zucker aus industriellen und landwirtschaftlichen Abfallprodukten, wie Melasse oder andere Biomassen, verwerten und dadurch ihren Stoffwechsel am Laufen halten. Nachdem insbesondere Stickstoff und Phosphate verbraucht sind, stoppt das Wachstum und mit dem verbleibenden Überangebot an Kohlenstoff werden Lipide gebildet. Diese Lipide lassen sich anschließend isolieren und sind, je nach Hefe-Art, vielen pflanzlichen Ölen sehr ähnlich. Normalerweise entsteht bei der Fermentation CO2. Doch auch hier hat das Team eine klimaschonende Lösung gefunden, die sie sich gerade patentieren lassen. „Anfangs musste ich sehen, was ökonomisch durchführbar war. Da war es weniger die Technik, die beschränkt hat: Ich habe geschaut, was auf diese Art produziert werden konnte und was die Leute dann kaufen würden“, so Philipp.
Mit dem „grünen“ Öl können Palmöl oder Kakaobutter nachempfunden, aber auch ganz neue Öle ohne natürliches Vorbild entwickelt werden. „Die Vielfältigkeit der Öle spiegelt sich auch in ihrer Anwendung in Cremes, Seifen oder Schokoladen wider. Also überall dort, wo auch heute pflanzliche Öle genutzt werden”, erklärt Max Webers, er ist der Projektleiter von COLIPI.
Weitere Expertise
„Max Webers habe ich während meines Bachelors an der Berliner Hochschule für Technik kennengelernt“, berichtet Philipp: „Wir haben beide Biotechnologie studiert. Er ist dann für seinen Master nach München, hat da weiter Management studiert. Max ist Wirtschaftsingenieur und als ich die Idee für den EXIST-Förderantrag hatte, brauchten wir jemanden, der explizit an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Technik und Wissenschaft agiert: Er konnte sich das vorstellen und leitet seitdem den organisatorischen Teil und die Kommunikation für COLIPI. Dies heißt täglich vor allem Unmengen an Mails abarbeiten, Meetings organisieren, Präsentationen vorbereiten, bei Investoren pitchen, uns bekannt machen und vernetzen.“
Tyll Utesch und Jonas Heuer hat Philipp am Institut für Bioprozess- und Biosystemtechnik der TUHH kennengelernt. Dort hat Tyll 2019 promoviert. Heute ist er - mit seinen Stärken im Bereich Technologieentwicklung und Umsetzung - bei COLIPI für die Umsetzung der CO2-Neutralität verantwortlich. Hier hat er bereits während seiner Doktorarbeit eine neuartige Elektrodenanordnung für elektrochemisch unterstützte Bioprozesse entwickelt, die patentiert wurde.
Jonas Heuer und Philipp waren Kollegen während der Doktorarbeit und saßen in einem Büro. Die Doktorarbeit von Jonas drehte sich um die enzymatische Nutzung von CO2. Für dieses Thema erwarb er auch hohe Expertise in molekularbiologischen und gentechnische Arbeiten, die auch für die nun genutzten Hefen eine Option sind. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) stellen allerdings eine große Barriere für den Markteintritt dar. Jonas hat zudem Expertise im Bereich Downstreaming sowie Produktentwicklung und hat ein ausführliches Praktikum bei Kosmetikunternehmen absolviert. Er kümmert sich bei COLIPI auch um die Regulatorik.
Philipp selber ist im Team eher für die Fermentation zuständig, also für die Herstellung der Fette und Hefen. Aber ein großer Teil macht bei ihm auch die Prozesskostenschätzung und -skalierung aus. Gemeinsam mit Tyll und Jonas ist er für die technologische Wissenschaftsseite zuständig.
Startup-Support
„Ich habe mich damals bei der Tutech nach Gründungsunterstützung erkundigt, daraufhin hat sich umgehend die Gründungsberaterin Dr. Andrea Otto von beyourpilot bei mir gemeldet. Sie hat uns bei zwei EXIST-Forschungstransfer-Anträgen zur Förderung beraten und unterstützt. Andrea weiß, wie so ein Antrag aussehen soll, was von uns verlangt wird. Sie hat nicht - wie wir - den wissenschaftlichen Blick auf den Antrag gehabt, sondern den Blick der Jury. Zudem hat Andrea uns regelmäßig gepusht. Und das hatten wir bitter nötig. Unser erster Antrag wurde am 15. November 2020 leider abgelehnt, denn wir hatten unter anderem noch keine vorzeigbaren Prototypen. Deswegen haben wir dann, unter Leitung meines damaligen Institutsleiters Professor Zeng, dann Calls for Transfer beantragt“, erzählt Philipp.
Das im Sommer 2018 gestartete Programm „Calls for Transfer“ (C4T) in Projektträgerschaft der TUHH setzt gezielt an dieser Problematik an und fördert den Ideen-, Wissens- und Technologietransfer an den staatlichen Hamburger Hochschulen, indem Projektanträge mit bis zu 30.000 Euro initial unterstützt werden. Die Fördersumme ist inhaltlich wie formal flexibel einsetzbar, damit die Projektvorhaben umsetzungsorientiert vorangetrieben werden können: „Die Vermittlung der Fördergelder war wunderbar unbürokratisch. Roland Winterstein vom Controlling des C4T hat uns bei den Finanzen ausgezeichnet unterstützt“, so der Wissenschaftler weiter.
Dem zweiten – und erfolgreichem – EXIST-Antrag mit der beyourpilot-Gründungsberaterin stand nun nichts mehr im Wege und unter gemeinsamer Kraftanstrengung erhielt das Startup Mitte 2021 die ersehnte Zusage: Seit November 2021 fließen die Fördergelder und ermöglichen die Ausweitung der Öl-Produktion vom Labormaßstab hin zur industriellen Produktion. Durch das gestiegene Bewusstsein für Nachhaltigkeit steigt auch die Nachfrage nach dem CO2-neutralen Öl in kommerziellen Produkten: „So erlangen Unternehmen der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie einen klaren Marktvorteil, da möchte niemand zu spät auf den Zug aufspringen”, unterstreicht Max Webers.
Gründung, Flügge werden und Markteintritt
„Wir haben vor etwa einem Monat gegründet, damit wir nun an Investoren herantreten können. Das war vor offiziellem Förderbeginn – aufgrund der damit verbundenen Auflagen – nicht möglich“ erklärt Philipp. Sie benötigen dringend weitere Hilfe im Labor, denn es gibt „viele Ideen - aber zu wenig Personal“. Zwei Wissenschaftler sollen es für den Bereich der Fermentation und Aufarbeitung sein. Zudem überlegen die Gründer, ob sie für den Markteintritt hinsichtlich des Marketings mit jemanden zusammenarbeiten sollten, der oder die sich um Werbung und Vertrieb kümmert.
„Außerdem versuchen wir einen geregelten Absprung von der TUHH. Wir dürfen hier noch bis 2024 bleiben – und dafür sind wir dankbar, aber wir streben etwas Eigenes an und wollen hier die Kapazitäten nicht unnötig belasten. Also sind wir auf der Suche nach externen Laborplätzen und Pilotierungsmöglichkeiten“, schaut Philipp in die Zukunft. In ein bis zwei Jahren könnten sie auf bis zu zehn Leute anwachsen.
Erste Produkte mit dem Öl von COLIPI werden voraussichtlich in zwei Jahren auf dem Markt zu finden sein. Auf dem Weg dorthin steht beyourpilot mit Rat und Tat zur Seite.